Die Katastrophe des Martelltals – 1987

Im Juli 1987 war es in Südtirol aufgrund der Hitze zur Schmelze des in den höheren Lagen gefallenen Schnees und der Gletscher gekommen. Auch Niederschläge trugen bei, dass sich der Zufritt-Stausee in Hintermartell füllte. Dieses Wasser aus den Niederschlagstagen im Juli blieb bis August im Becken, sodass es bis zum Rand gefüllt war.

Am 24. August regnete es den ganzen Tag. Der Stausee drohte über seine Ufer zu laufen. Am Nachmittag soll das Wasser dann einen halben Meter in der Stunde angestiegen sein, was bedeutet, dass insgesamt 500.000 m³ Wasser in den See flossen. Die Strombetreiber zogen aber lediglich 25.200 m³ in der Stunde ab.

An diesem Tag war nur ein Stauwächter im Dienst. Der zweite Wächter war wegen einer Beerdigung nicht vor Ort, obwohl laut Vorschrift immer zwei Wächter anwesend sein mussten. Der Stauwächter hatte mehrmals die zuständigen Behörden über den Stand des Wasserpegels informiert und vorgeschlagen, die Überlaufschleusen zu öffnen. Dies wurde jedoch von den Technikern in Kastelbell und Bozen abgelehnt, da sie hofften, dass die lang anhaltenden Niederschläge nachlassen würden. Als es am Abend immer noch regnete, wurde der Überlauf schließlich geöffnet, jedoch konnte dieser die Wassermassen nicht mehr schlucken.

Um 20.30 Uhr wurden zusätzlich die Grundschleusen geöffnet. Als dann der Strom ausfiel und das Notaggregat nicht funktionierte, ließen sich die Schleusen nicht mehr schließen. Der Stauwächter musste drei Kilometer laufen um Hilfe zu holen, damit die Öffnungen manuell geschlossen werden konnten. Dadurch waren die Schleusen lange geöffnet und es schossen bis zu 350 m³ pro Sekunde Wasser ins Tal.

Das Bachbett war sogleich mit Holz, Geröll, Steinen und Schlamm gefüllt und das Wasser suchte sich seinen eigenen Weg. Um 21.00 Uhr war es schließlich bis in die Ortschaft Gand vorgedrungen. Die Menschen flohen die Berghänge hinauf.

Krachend bohrten sich die Wassermassen durchs Tal. Große Steine wälzten alles um, was ihnen im Wege stand. Die braune fast schon dickflüssige Schlamm-Wassermasse mit entwurzelten Bäumen floss kreuz und quer durch die Ortschaft.

Gegen 22.00 Uhr ließ das Wasser ein wenig nach, da dem Stauwächter und seinen Helfern endlich gelungen war, die Schleusen wieder zu schließen. Um 2.00 Uhr morgens ließ der Regen endlich nach.

Am nächsten Morgen kehrten einige in die Häuser zurück, um zu sehen was von ihrem Hab und Gut noch übrig geblieben war. Der Rest musste auf das Eintreffen der Hubschrauber warten, die sie zur Sammelstelle auf die gegenüberliegende Talseite brachten. Trotz der entstandenen Schäden konnte erleichtert aufgeatmet werden, denn niemand war umgekommen.

Dennoch standen viele der Bewohner plötzlich vor dem Nichts. Überall lag meterhohes Geröll. Infrastrukturen wie Trinkwasser-, Telefon- und Elektroleitungen ebenso die Beleuchtung und die Kanalisation wurden nahezu gänzlich zerstört. Die Straßen und die Uferschutzbauten wurden vernichtet.

Entwurzelte und umgerissene Bäume, Fels­brocken, verbogene Stahlträger und zerstörte Brücken waren in der Stein- und Geröllwüste in der Marteller Gand zu erkennen. Kaum ein Haus war von den Massen verschont geblieben. Auch Flurschäden waren zu beklagen, der Berghang war an mehreren Stellen abgebrochen.

Auch Tage nach dem Unglück führte die Plima immer noch viel Wasser. Ein Hubschrauber versorgte die Menschen mit Lebensmitteln, transportierte sie in trockene Unterkünfte und flog Wiederaufbaumaterial. Die Bagger arbeiteten bereits daran, die Plima wieder in ihr altes Flussbett zurückzudrängen. Drei Tage lang war das Tal von der Außenwelt abgeschnitten. Erst dann funktionierte die Telefonverbindung wieder und die Straßen waren provisorisch wieder befahrbar. Die Hauptwiederaufbauarbeiten dauerten bis zu drei Jahre.

Am 24. August 1993 weihten die Gandler die Gedenkstätte an die Katastrophennacht ein. Sie besteht aus mehreren Elementen: Bildstock, Lebenssäule, Teich und einer Steingruppe mit Steintafel, auf der zu lesen ist: „Der Mensch wollt´ die Natur ­bezwingen und ihr mit Gier Profit abringen. Sie forderte dann grausam zurück, jedoch kein Menschenleben zum Glück. Drum wurde geschaffen dieser Ort, als Dank und Ermahnung immerfort“.

Der Strafprozess dauerte elf lange Jahre. Innerhalb August 2004 wurden die Entschädigungen an die Geschädigten ausgezahlt. Somit war das Verfahren nach 17 Jahren endlich abgeschlossen.

Quelle: Der Vinschger